Der Sonderweg / Kommentar von Jens Kleindienst zu den neuen Corona-Regeln


Allgemeine Zeitung Mainz

Mainz (ots)

Ein Sommer der Freiheit neigt sich dem Ende zu, so darf man mit Blick auf die neuen Corona-Regeln seufzen, die das Kabinett auf den Weg gebracht hat. Die Minister Karl Lauterbach (Team Vorsicht) und Marco Buschmann (Team Freiheit) haben lange um diesen Kompromiss gerungen. Das Ergebnis ist nicht gut. Zwar enthält das Paket Vernünftiges wie die Maßnahmen für Kliniken und Pflegeeinrichtungen. Jedoch ist es durchsetzt von Widersprüchen und unbegründeten Zumutungen. So sollen die Länder wieder eine Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Innenräumen erlassen können, also etwa im Restaurant, im Theater oder in der Sporthalle – Team Vorsicht. Davon ausgenommen werden können Personen, die einen aktuellen Test vorzeigen, oder einen Genesungs- oder Impfnachweis, der nicht älter ist als 90 Tage – Team Freiheit. Mal abgesehen davon, dass die Stiko eine weitere Auffrischungsimpfung noch immer nicht für Personen unter 60 empfiehlt und eine Impfung nicht vor der Infektion schützt, sondern nur vor einem schweren Covid-Verlauf – wer soll das kontrollieren? Gastwirte würden wieder zu Ordnungshütern, und das für die zwei Meter vom Eingang zum Tisch, wo die Maske ohnehin fällt. Auch die Regelung für den öffentlichen Verkehr ist eine Zumutung: Der Bund bestimmt über die Fernzüge (FFP2-Pflicht, eine Verschärfung!), die Länder über den Nahverkehr, für den sie eine Maskenpflicht verhängen können. Auch wenn es absurd klingt: Man muss die Länder fast schon bitten, das unabhängig vom Infektionsgeschehen zu tun. Sonst hätten wir bald die Situation, dass im halb leeren ICE eine Maske getragen werden muss, im rappelvollen Stadtbus aber nicht. Zudem bekommen die Länder erneut die Möglichkeit, mit Abstandsgeboten, Sitzplatzbeschränkungen und einer Maskenpflicht im Freien das öffentliche Leben weit herunterzufahren. Die Prognose sei erlaubt: Sie werden es zumindest teilweise tun. Welcher Ministerpräsident will sich bei steigenden Infektionszahlen vorwerfen lassen, nicht gehandelt zu haben? Und das ist das Problem. Sind in die neuen Corona-Regeln eigentlich die Erfahrungen dieses Sommers eingeflossen? Wir hatten eine ziemlich heftige Infektionswelle – und praktische keine Maßnahmen dagegen. Das war nicht schön, viele waren krank, aber das Gesundheitssystem ist nicht an seine Grenzen gekommen. Fast alle unsere Nachbarn haben daraus die Konsequenz gezogen, mehr oder weniger vollständig zum normalen Leben zurückzukehren, also mit dieser Pandemie zu leben. Dass Deutschland sich nun auf einen Sonderweg begibt, ist nicht nachvollziehbar.

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