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Marburger Bund wütet gegen „Bürokratie-Irrsinn“ an Kliniken

Marburger Bund wütet gegen „Bürokratie-Irrsinn“ an Kliniken


Neue Osnabrücker Zeitung

Osnabrück (ots)

Marburger Bund wütet gegen „Bürokratie-Irrsinn“ an Kliniken

Vorsitzende John: Dokumentations-Wahn der Kassen hält uns drei Stunden täglich von Arbeit ab – Warten auf Lauterbachs Bürokratieabbau-Paket

Osnabrück. Die Ärzteorganisation „Marburger Bund“ klagt über einen „Bürokratie-Irrsinn“ an Kliniken und fordert Regierung und Krankenkassen zum sofortigen Umsteuern auf. „Trotz jahrelanger Bekenntnisse zum Bürokratieabbau wird der Dokumentationsaufwand immer absurder. Es ist zum Verzweifeln, das raubt uns Zeit, die wir nicht haben“, sagte Susanne Johna, Erste Vorsitzende des Marburger Bundes, im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). „Wie kann es sein, dass in einer Zeit, in der Stationen wegen fehlenden Personals verkleinert, Patienten abbestellt werden müssen, Ärztinnen und Ärzte täglich drei Stunden mit Dokumentation und Datenerfassung von ihrer Arbeit abgehalten werden?“

Auf das im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbarte Bürokratieabbau-Paket „warten wir bislang vergebens“, schimpfte Johna über Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Als „ersten Schritt“ verlangte die Marburger-Bund-Chefin einen „Realitätscheck“: Die Ampel-Gesundheitspolitiker sollten sich dringend vor Ort anschauen, was da Tag für Tag passiere. „Allein für die Dokumentationssicherung erfassen wir mehr als 2,3 Millionen Datensätze jedes Jahr, jeder Satz besteht aus bis zu 50 Einzeleingaben. Das ist schlicht Wahnsinn.“

Hinzu komme, dass viele „vermeintliche“ Qualitätssicherungsinstrumente den Patienten überhaupt nichts brächten: „Ein immenser Teil der Bürokratie hat nichts mit Qualitätssicherung zu tun, sondern dient nur der Absicherung von Abrechnungen, weil dafür zahllose Zu- oder Abschläge dokumentiert werden müssen, jede zusätzliche kleine Nebendiagnose festgehalten werden muss“, schilderte Johna auch ihren eigenen Alltag. Etliche Ärzte und Pflegekräfte seien komplett aus der Versorgung raus und machten nichts Anderes als Kodieren und Abrechnen.

Verantwortlich für den „Wahnsinn“ machte Johna vor allem die Krankenkassen und deren Spitzenverband GKV. „Die Misstrauenskultur auf Seiten der Kassen treibt inzwischen solche Blüten, dass ein großer Anteil der Finanzmittel von der Aufrechterhaltung des völlig übertriebenen Abrechnungsapparates aufgefressen wird“, so ihre Feststellung. „Es gibt etliche Kanzleien und Beratungsunternehmen, die von nichts anderem leben, als von der Abrechnungskontrolle.“

Auch Ärzte wollten kein Geld verschwenden. „Aber was ist das für ein Irrsinn, eine riesige Kontroll-Bürokratie über 100 Prozent der Arbeit zu ziehen, um wenige Prozent schwarze Schafe, die es geben mag, zu entdecken? Da ist absolut unverhältnismäßig und davon profitiert kein einziger Patient.“

Es brauche „dringend mehr Vertrauen seitens der Kassen!“, so der fast flehentliche Appell der Marburger-Bund-Chefin. Es gebe klare Regeln und Leitlinien für Behandlungen, die eingehalten würden. Zur Kontrolle reichten Stichprobenprüfungen statt eine Vollerfassung. „Die Kassendevise lautet: Was nicht dokumentiert wird, das ist nicht erledigt worden. Das geht völlig an der Realität vorbei“, sagte Johna.

Natürlich könne man von einer Wundversorgung ein Foto machen, „das können sich die Kassenkontrolleure auch gerne anschauen. Aber von jedem Verbandswechsel? Dieser Dokumentationswahn muss endlich aufhören!“ Als weiteres Beispiel nannte sie Auflagen bei der Behandlung isolationspflichtiger Patienten. „Dann muss zusätzlich dokumentiert werden, wie lange eine Pflegekraft braucht, um sich in Schutzkleidung zu werfen, um den Patienten zu versorgen. Sorry, aber das ist Quatsch, das ist pure Zeitverschwendung, das darf so nicht weitergehen!“, sagte Johna.

Eine „vernünftige Digitalisierung“ könne zwar etwas Abhilfe schaffen, aber das scheine noch Jahre zu dauern. Etliches müsse weiter per Hand eingepflegt werden, beschrieb Johna den Alltag. „Es ist zum Verzweifeln, das raubt uns alles Zeit, die wir nicht haben.“ Notwendig sei eine Reform nach der Devise „Hände weg vom Schreibtisch, hin zu den Kranken!“. Das wollten nicht nur die Ärzte, „das erwarten vor allem unsere Patientinnen und Patienten.“

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