Schlappe für Giffey – Leitartikel von Christine Richter


BERLINER MORGENPOST

Berlin (ots)

Kurzform: Franziska Giffey muss sich nun ernsthaft überlegen, wie sie weitermachen will. Denn auch in den Umfragen ist die Zustimmung für die Regierende Bürgermeisterin zuletzt deutlich gesunken. Sie hat einen langen Weg vor sich – innerhalb ihrer Partei, aber auch in Berlin. Sie wird weiter präsent sein müssen, weiter die wichtigsten Themen zur Chefinnensache machen müssen, will sie auf Dauer erfolgreich sein. Vor allem aber muss sie Vertrauen zurückgewinnen. Das jedoch wird nur gelingen, wenn sich die Lage in Berlin bessert. Und die Menschen wieder das Gefühl haben, in einer funktionierenden Stadt zu leben.

Der vollständige Leitartikel: Das haben sich die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und der Fraktionschef Raed Saleh auch anders vorgestellt: Auf dem SPD-Parteitag am Sonntag im Neuköllner Hotel Estrel haben die Delegierten ihre beiden Vorsitzenden nur mit knapper Mehrheit im Amt bestätigt. Giffey erhielt 59 Prozent der Stimmen, Saleh bekam gerade mal 57 Prozent. Was für eine Schlappe.

Vor knapp zwei Jahren, im November 2020, hatte Giffey, die sich damals anschickte, SPD-Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl 2021 zu werden, noch 89 Prozent Zustimmung erzielt. Saleh war damals mit 69 Prozent zum Co-Vorsitzenden der Berliner SPD gewählt worden. Doch nun ist der Vertrauensvorschuss dahin – beiden, aber vor allem Giffey, sagten die SPD-Delegierten mit ihrem Abstimmungsverhalten am Sonntag, dass sie mit ihrer Arbeit nicht zufrieden sind.

Franziska Giffey muss sich nun ernsthaft überlegen, wie sie weitermachen will. Denn auch in den Umfragen ist die Zustimmung für die Regierende Bürgermeisterin zuletzt deutlich gesunken. Denn es reicht offensichtlich nicht, täglich in den sozialen Medien präsent, für manchen schon überpräsent zu sein. Es reicht auch nicht, jeden Tag bei einem oder mehreren Terminen aufzutreten und viele Themen zur Chefinnensache zu machen. Die Menschen in Berlin – da unterscheiden sich die Wähler nicht sehr von den SPD-Genossen – wollen auch Ergebnisse, vor allem Fortschritte sehen.

Doch die gibt es noch nicht. Und die zu liefern, wird für Franziska Giffey auch nicht leicht. Denn den Wählerinnen und Wählern hatte die SPD-Politikerin im Wahlkampf vor einem Jahr versprochen, dass es mit ihr kein „Weiter so“ in Berlin geben werde. Doch nach der Wahl führte Giffey – auch von Saleh unter Druck gesetzt – das Linksbündnis mit Grünen und Linken einfach fort. Obwohl alle wussten, dass sie eine Ampel-Regierung bilden wollte, musste sie schon nach wenigen Gesprächsrunden wieder mit Grünen und Linken über eine Koalition verhandeln. Es gab also doch ein „Weiter so“, das etliche Wähler enttäuscht hat, das sich bis heute in den Umfragen widerspiegelt. Und an Ergebnissen – sei es beim Wohnungsbau, bei der Terminvergabe in den Bürgerämtern oder bei der Mobilitätswende – gibt es auch noch nichts zu vermelden.

Die SPD-Delegierten, die am Sonntag ihrer Regierenden Bürgermeisterin die Stimme verweigert haben, sind wiederum unzufrieden, weil Giffey nicht so links ist, wie sie es in der Mehrheit sind. Das zeigt sich etwa am Streit um die Verlängerung der Stadtautobahn A100, die Giffey nicht ausschließen will, die Partei aber schon. Das zeigt sich beim Streit um die Enteignungen von großen Wohnungsunternehmen, wo die Delegierten näher bei den Linken als bei ihrer Regierenden Bürgermeisterin sind. Oder bei der Debatte um die richtige Strategie für Berlin – während Giffey im Wahlkampf die Außenbezirke und die dort lebenden Menschen in den Vordergrund schob, holten die Grünen in der Innenstadt, also innerhalb des S-Bahn-Rings, die meisten Stimmen.

Franziska Giffey hat einen langen Weg vor sich – innerhalb ihrer Partei, aber auch in Berlin. Sie wird weiter präsent sein müssen, weiter die wichtigsten Themen zur Chefinnensache machen müssen, will sie auf Dauer erfolgreich sein. Vor allem aber muss sie Vertrauen zurückgewinnen. Das jedoch wird nur gelingen, wenn sich die Lage in Berlin bessert. Und die Menschen wieder das Gefühl haben, in einer funktionierenden Stadt zu leben.

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