Gescheitert / Leitartikel von Christian Matz zur Impfpflicht-Entscheidung


Allgemeine Zeitung Mainz

Mainz (ots)

Mit Ansage und monatelangem Anlauf krachend gegen die Wand – das ist das passende Bild für das Scheitern der Ampel-Impfpflichtpläne im Bundestag. Verantwortlich dafür sind vor allem vier Politiker. Gesundheitsminister Lauterbach und der bayerische Ministerpräsident Söder, die als erste mit ihrer lautstarken Maximalforderung nach einer Impfpflicht ab 18 eine ohnehin aufgeheizte Debatte noch mehr polarisiert haben. Kanzler Scholz, der sich die Maximalforderung dann zu eigen gemacht hat, aber nicht die dafür nötige klare politische Führung übernommen hat. Schließlich CDU-Chef Merz, der das getan hat, was man von einem Oppositionsführer erwarten kann: Er hat die Regierung auflaufen lassen. Vorwerfen darf man ihm das nicht. Für das Kommunikationsdesaster der Ampel rund um die Impfpflicht ist nicht die Union verantwortlich; dass Kanzler Scholz die Außenministerin vom weltpolitisch wichtigen Nato-Gipfel zur Ukraine für die absehbare Abstimmungsniederlage nach Hause beordert hat, setzt diesem Desaster noch die Krone auf. Doch auch davon ganz abgesehen haben es die Befürworter der allgemeinen Impfpflicht nicht geschafft, eine Mehrheit zu überzeugen. Ihre stets als Gewissheit und mit hohem moralischen Anspruch vorgetragene Aussage, dass nur die Impfpflicht ab 18 den Ausweg aus der Pandemie bietet, bleibt weiterhin nur ein Versprechen, für das es keinen Beleg gibt. So wie jetzt auch noch niemand weiß, welche Corona-Variante im Herbst grassiert, welche Impfstoffe wie und in welcher Häufigkeit dagegen helfen werden. Hinzu kommen zahllose rechtliche und praktische Einwände gegen die Umsetzung einer solch weitreichenden Regelung, die weiterhin nicht ausgeräumt sind. Gescheitert ist nun auch der auf den letzten Metern eingereichte Kompromissvorschlag einer Impfpflicht ab 60. Ein Vorschlag, der vielleicht von Anfang an eine Lösung hätte sein können. Mit der das Land und eine Mehrheit im Bundestag hätten leben können, weil sich die Pflicht auf die nachweislich am meisten gefährdete Altersgruppe bezieht. Es ist geradezu fahrlässig von den Impfpflichtbefürwortern, dass dieser Weg nicht von Anfang an gegangen und auf Umsetzung geprüft wurde. Schließlich gibt es dafür, ganz anders als bei der Impfpflicht für alle, auch Vorbilder im Ausland. Zum Beispiel Italien, hinsichtlich der Zahl und der Altersstruktur der Bevölkerung vergleichbar mit Deutschland. Spätestens, wenn im Herbst die Krankheitslast infolge von Covid-19-Erkrankungen erneut stark steigen sollte (was nicht sicher ist), wird aber auch die Impfpflichtdebatte wieder auf den Tisch kommen. Bis dahin muss nun dringend Klarheit geschaffen werden, über welche zu schließende Impf- und Immunitätslücke wir eigentlich reden, bevor wir wieder über den Sinn oder Unsinn einer Pflicht diskutieren. Bei den Menschen über 60 liegt die Quote bei den Grundimmunisierungen schon jetzt bei fast 90 Prozent, bei den Erwachsenen bei rund 86 Prozent; hinzukommen eine unbekannte Dunkelziffer Geimpfter und ein unbekannter Anteil Genesener. Eine klare Datenlage dazu gibt es bislang nicht, allein das ist ein schweres Versäumnis. Entschieden werden muss bis dahin auch über den Aufbau eines Impfregisters, das eine wichtige Voraussetzung für eine Impfpflicht wäre; sowie eine nochmalige, druckvolle Beratungskampagne, beginnend bei den Ab-60-Jährigen. Sehr viele Hausaufgaben also für den Sommer.

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